Berliner Recycling- und Sekundärrohstoffkonferenz 2022

Erneut hohe Präferenz: Kunststoff- und Elektronikschrott-Recycling

In diesem Jahr war es nicht nur die Pandemie, die Einfluss auf die am 07. und 08. März 2022 stattfindende Konferenz ausübte, sondern sie wurde auch vom Ukraine-Krieg überschattet. So rief Prof. Dr.-Ing. Goldmann, TU Clausthal zu Beginn seiner Eröffnungsrede und der Einführung in die Plenarveranstaltung zur Solidarität mit der Ukraine und allen, die sich gegen diesen wahnsinnigen Angriffskrieg stellen, auf. „Unter diesen Umständen wird das Thema Kreislaufwirtschaft zur Rohstoffversorgung wichtiger denn je. Zwar kann Recycling nicht alle Engpässe beheben, aber doch einen wesentlichen Teil dazu beitragen“, so seine Schlussfolgerung aufgrund dieser beängstigenden Situation. Prof. Dr.-Ing. Dr. h. c. Friedrich, RWTH Aachen, der 2014 die Ehrendoktorwürde der Universität Donezk erhielt, versicherte, Hilfe für ukrainische Flüchtlinge zu leisten und ihnen die Möglichkeit zu geben, an der RWTH Aachen zu arbeiten.

Um möglichst vielen Interessierten die Teilnahme zu ermöglichen, hatte die TK-Verlag GmbH, Nietwerder-Neuruppin als Veranstalter die Konferenz, bei deren Planung in keiner Weise klar war, ob sie in Präsenz stattfinden kann, gleichzeitig im WEB-Format angeboten. Die wissenschaftliche Leitung lag in bewährter Weise in den Händen von Prof.-Ing. Daniel Goldmann, Direktor des Instituts für Aufbereitung, Deponietechnik und Geomechanik, TU Clausthal und Prof. Dr.-Ing. Dr. h. c. Bernd Friedrich, Leiter des Instituts für Metallurgische Prozesstechnik und Metallrecycling, RWTH Aachen. Ihnen zur Seite standen Dr.-Ing. Olaf Holm (Programmkoordination) und Frau M. Sc. Elisabeth Thomé-Kozmiensky (Konferenzorganisation) vom TK-Verlag.  

Am ersten Konferenztag wurde wieder eine Plenarsitzung mit den folgenden Themenschwerpunkten abgehalten:

Politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen

Von linearer zu zirkulärer Wertschöpfung – und dann?

Wissenschaftliche Strategie

Der zweite Tag befasste sich erneut mit den beiden hochaktuellen und umweltrelevanten Themenkomplexen

Elektronikschrott-Recycling

Kunststoff-Recycling

 

Mit diesen weit gespannten Themenfeldern wurden sowohl Führungskräfte und Fachleute aus dem Wissenschafts- und Verwaltungsbereich als auch Anlagenbauer und -betreiber, Service-Dienstleister, Planungsbüros und Consultingunternehmen angesprochen.

 

Plenarsitzung – Politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen

Den Weg Niedersachsens, einer Region, die vom Klimawandel besonders betroffen ist (Auto- und Stahlindustrie) auf dem Weg zur Klimaneutralität beschrieb Dr. Ulrike Witt, Amt für Regionale Landesentwicklung, Braunschweig, in ihrem Beitrag „Circular Region Niedersachsen. Die Region Braunschweig geht voran!“ Die Referentin stellte dazu viele Ideen vor, beispielsweise die Bildung eines Wasserstoff-Campus in Salzgitter unter Beteiligung von Industrie (Allstrom, Bosch, Salzgitter AG,), Wissenschaft (Fraunhofer) und Verwaltung, aber auch Beispiele für die Umsetzung wie die Erzeugung von grünem Stahl (Salzgitter AG) oder die Produktion von Elektroautos (VW AG). Sie unterstrich die Wichtigkeit des gemeinsamen Vorgehens von Industrie, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Zur Entwicklung einer Circular-Region ist eine branchen- und unternehmensübergreifende Recyclingstrategie erforderlich. In ähnlicher Weise referierte Heiko Thomas, Beigeordneter für Klima und Umwelt,

Stadtbetrieb und Gebäude: „Circular Cities Declaration – Aachen auf dem Weg zur Ressourcenwende“. Als zweite Stadt hat Aachen 2021 die „Circular City Decleration“ unterzeichnet und kann heute schon Ergebnisse vorweisen, über die der Referent berichtete. Insbesondere stellte er vier konkrete Handlungsfelder vor, auf denen Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft praktiziert wird: Umgestaltung des Stadtentsorgungsbetriebes, Umbau des Verwaltungsgebäudes, Flächenentsiegelung und Schaffung klimaneutraler Quartierswärme rund um die Keimzelle.

 

Von linearer zu zirkulärer Wertschöpfung

Im nächsten Vortrag („Der Anthropozän-Imperativ – Transformation zu einer zirkulären Wirtschaft“) schilderte Professor Dr. Reinhold Leinfelder, FU Berlin sehr eindrucksvoll, wie der Mensch in den letzten etwa 70 Jahren die Erde hinsichtlich Rohstoffe negativ verändert hat. Die Menschheit verbraucht derzeit 70 % mehr als das, was unser Planet erneuern kann. Wir haben die Wildnis abgeschafft, 60 % allen Plastiks sind irgendwo in der Umwelt – das sind nur einige Fakten, die offenbaren, wie der Mensch seine Lebensgrundlage zerstört und welches Ausmaß anthropogener Veränderung des Erdsystems schon heute zu verzeichnen ist. Prof. Reinhold stellte einen neuen Nachhaltigkeitsansatz auf der Grundlage des Anthropozän (Menschengeologie) vor und leitete verschiedene Zukunftsszenarien ab. So sehr der Referent sich als Verfechter der Kreislaufwirtschaft versteht, mahnte er doch an, den Energieaufwand dabei zu berücksichtigen. Sein Fazit: Nachhaltigkeit neu denken, Problemlösungen vernetzt angehen, Visionen umsetzen, dabei von der Biosphäre lernen, und das Wichtigste: es muss begonnen werden – und zwar jetzt! Für unsere zukünftige Beziehung zur Natur muss gelten: 1. von der Natur leben – durch Eingliederung in Naturprozesse, 2. sich vor der Natur schützen – durch Stabilisierung des Erdsystems.

Dieser mahnende Zeigefinger bezüglich des Umgangs mit der Natur, mit unseren Ressourcen und den jetzt schon eingetretenen negativen Klima- und Umweltveränderungen zog sich wie ein roter Faden durch die weiteren Beiträge. So auch im folgenden Vortrag von Prof. Dr.-Ing. Daniel Goldmann „Auf dem Weg zur Circular Society“, in dem der Referent ebenfalls die vor der Menschheit stehenden Herausforderungen skizzierte und seine Ideen, sich diesen erfolgreich zu stellen, darlegte. So gilt es von der „Circular Economy“ zur „Circular Society“ zu gelangen; es wird mehr als nur Recycling gebraucht, nämlich Rethink. „Nur durch gemeinsame Initiativen von Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft wird die Circular Society zur Lösung all unserer Probleme gelingen“, ist sich Prof. Goldmann sicher.

Den Umbau unserer Gesellschaft unter dem Aspekt „Produktion und Versorgung in einer Wirtschaft ohne Wachstum“ – so der Titel seines Referates – skizzierte Professor Dr. Niko Paech, apl. Prof. Universität Siegen. Seine Überlegungen zur Verkleinerung der Wirtschaft, die eventuell mit Arbeitslosigkeit einhergeht und den dadurch erforderlichen Umbau der Gesellschaft erfordert, führten ihn zu einer ökonomischen Theorie der Genügsamkeit (Suffizienz). Diese gaben Anlass zu einer ausgiebigen Diskussion zu den Themenfeldern technischer Fortschritt im Zusammenhang mit der Überlebensfähigkeit der Menschheit, Verlängerung der Nutzungsdauer von Geräten und Maschinen, ihre Reparaturfähigkeit und -möglichkeiten, Bevölkerungswachstum, Bildung, um nur einige zu nennen.

 

Zukunftsstrategien

Diesen Themenbereich leitete Min. R. Dr. Wolf Junker, BMBF Bonn mit seinem Referat „Von Recycling zur zirkulären Wirtschaft – Ansätze aus dem Fachprogramm des BMBF“ ein. Er führte eine ganze Anzahl von Förderaktivitäten auf, die vor allem in seinem Referat „Ressourcen, Kreislaufwirtschaft und Geoforschung“ bearbeitet werden, u. a. die Verbundmaßnahme EMSARZEN (1,5 Mio. €, Laufzeit 2021 – 2024) zur Aufbereitung von Schlacken aus MVA für die Zementindustrie und zur Metallrückgewinnung. Aber auch andere Projekte im Bereich Zukunft von Arbeit und Wertschöpfung wurden aus den zahlreichen und vielfältigen Aktivitäten unterschiedlicher Größe erwähnt. Sie sollen alle in eine Roadmap einfließen und Handlungsempfehlungen für eine Umsetzung der Circular Economy in Deutschland bis 2030 enthalten. Ziel soll die Netto-Null-Treibhausgas-Emission der EU bis 2050 mit absoluter Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom Ressourcenverbrauch sein. Zurzeit wird eine nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie erarbeitet.  

Die Möglichkeiten der Digitalisierung und Künstlichen Intelligenz (KI) für die Kreislaufwirtschaft sowie Erfahrungen aus dem Reallabor zeigten Prof. Dr. Andreas Rausch, Vorstandsvorsitzender DIGIT TU Clausthal und Sebastian Lawrenz, GF Sense4Future GmbH, Goslar. Trotz vieler automatisierter Prozesse gibt es beim Recycling noch sehr große Potenziale, manuelle Tätigkeiten durch KI und Digitalisierung zu ersetzen. Die eigentliche Herausforderung ist Rethink. Dazu wird an der TU Clausthal unter Nutzung von KI und Digitalisierung das erste „Reallabor“ geschaffen, das durch Kooperation von Forschung, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft eine marktnahe Forschung und technisch-wirtschaftliche Erprobung betreiben wird. Das erste Beispiel dafür ist das Projekt Sense4Future und WEEE Harz Pilot, das vorgestellt wurde.

Die Entwicklung der Herstellerverantwortung für Elektrogeräte in Deutschland stand im Fokus des Referates von Dipl.-Geol. Klaus Hieronymi, Circular Economy Consulting, Oberursel, mit einem Rückblick bis in die Anfänge der Elektronikgeräteproduktion und -entsorgung in den 1960er Jahren, als noch fast alles deponiert wurde. Die Dringlichkeit einer erweiterten Herstellerverantwortung wuchs, aber erst 2005 wurde das EEG verkündet. Heute existieren weltweit in 145 Ländern WEEE-Gesetze. Die Ziele der damit verbundenen Herstellerverantwortung änderten sich im Laufe der Zeit: 1990 ff. Minimierung des Abfalls auf Deponien (Ziel: Recycling), 2020 ff. Kreislaufwirtschaft (Fokus Sekundärrohstoffe), heute Kreislaufwirtschaft (Fokus Weiterverwendung). Es gilt für die Hersteller, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln (Reparatur, Gebrauchtgeräte) und für die Verbraucher ihre Einstellung zu Gebrauchtgeräten zu ändern. In der Diskussion ging es vor allem um die grenzüberschreitende Abfallverbringung und den Verbleib bzw. die Verwertung der Geräte (Ghana, Kenia u. a. m.), Wirtschaftlichkeit bei drastischer Erhöhung der Transportkosten und nicht vorhandene Recyclinganlagen in diesen Ländern.

 

Sekundärrohstoff-Potenziale

Moderiert von Prof. Dr.-Ing. Dr. h. c. Friedrich wurde unter dieser Thematik zunächst von Frau Dr. Britta Bockhagen, DERA in der BGR, Berlin die Digitalplattform Recyclingrohstoffe vorgestellt. Die DERA wurde durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) mit der Leitung dieser Plattform, die für die Dauer von zwei Jahren vorgesehen ist (2021 bis 2023), beauftragt. Mit dem Ziel, Handlungsoptionen zu entwickeln, die zur Erhöhung des Anteils von Recyclingrohstoffen an der Rohstoffversorgung der deutschen Industrie beitragen, werden in verschiedenen Arbeitskreisen die Themen Metalle und Industrieminerale bearbeitet. Bisher haben sich 350 Teilnehmer registrieren lassen. Die Auftaktveranstaltung fand im Herbst 2021 statt, im Herbst d. J. erfolgt ein runder Tisch und im Herbst 2023 soll der Endbericht an das BMWK übergeben werden. Als nächste Aufgaben stehen lt. Frau Dr. Bockhagen die Entwicklung eines gemeinsamen Referenzrahmens, darunter einige Themen für Recyclingrohstoffe, Technologien und Prozesse und dafür das Zusammenbringen der Interessenten an. Nach einem Überblick über die Dialogplattform forderte die Referentin dazu auf, sich für die einzelnen Arbeitskreise anzumelden. 

Im Beitrag „Recycling bei der Metallerzeugung und -verarbeitung in Deutschland“ berichtete Frau Dr. Asja Motzke-Blöß, TU Clausthal über eine Studie „Status Quo des Recyclings bei der Metallerzeugung und -verarbeitung in Deutschland“ die im Auftrag der DERA erarbeitet wurde. Dazu wurden die Systemgrenzen einschließlich Im- und Export im Bereich Metallerzeugung und Metallverarbeitung betrachtet und die Stoffströme, Verfahren und Prozesse sowie die Standorte der Anlagen ermittelt. Auch Kreislaufmodelle wurden in die Studie einbezogen. Sie soll im Sommer 2022 veröffentlicht werden.

 

„Deutschlands Rohstoffpotenziale durch Urban Mining bis 2040“ beleuchteten Dr. Burchert und Dr.-Ing. Winfried Bulach, Öko-Institut e. V. Darmstadt. Mit einem Fördervolumen von bislang 1,5 Mio. € wurde seit 2012 eine Kartierung des anthropogenen Lagers (AL) mit den Projektteilen KartAL I (Größe, Zusammensetzung, Dynamik), KartAL II (Modell, Datenbank) KartAL III (Hemmnisse und Lösungsansätze; Stoffstrom-Managementgrundlage) und KartAL IV (Materialkataster; Materialauszüge) vorgenommen. Schwerpunkt des Vortrags waren neben allgemeinen Aussagen zur Leistungsfähigkeit der KartAL-Serie der Projektteil KartAL III mit zwei Materialsystemen (Bau- und Abbruchabfälle; Basis- und Sondermetalle) sowie den Projektbausteinen Dialog und Vernetzung, Faktenchecks und Broschüren, Mengenstromprognostik und Lösungsansätze. Damit soll ein Stoffstrommanagement unter Integration von Verwertungsketten zur qualitativen und quantitativen Steigerung des Recyclings von Metallen und mineralischen Baustoffen etabliert werden. Der Abschlussbericht wird Mitte 2022 veröffentlicht, einige Broschüren sind bereits jetzt beim BMU abrufbar. 

In der Diskussionsrunde wies Prof. Friedrich darauf hin, dass alles getan werden müsse, um die deutsche Metallindustrie aufrecht zu erhalten und Recycling noch stärker zu etablieren.“ Die Rohstoffversorgung erhält eine ganz neue Dimension, wir können es uns eigentlich überhaupt nicht mehr leisten, Anlagen stillzulegen, und die Zellproduktion einschließlich des Recyclings muss in Deutschland installiert werden,“ bekräftigte auch Dr. Burchert diese Ansicht. 

Der zweite Konferenztag war nicht weniger spannend als die Plenarsitzung am ersten Tag und die Entscheidung für die Teilnahme an den einzelnen Vorträgen beider Sektionen fiel nicht leicht.

 Sektion Elektronikschrott

Drei Übersichtsbeiträge offenbarten die ganze Problematik, aber auch die Chancen, die das Recycling von Elektronikschrott (Ek-Schrott) unter den heutigen technischen Möglichkeiten schon bietet. Dipl.-Ing. (FH) Bernhard Jehle, ZME Elektronikrecycling GmbH Heuchelheim a. d. Lahn gab einen aktuellen Zustandsbericht über Sammlung und Behandlung von Ek-Schrott in Deutschland, aber auch in Beziehung zur EU ab. Die Sammelmenge lag 2020 in Deutschland bei 45 % statt der nach WEE bereits 2019 geforderten 65 %. Eine ganz Reihe von Gründen (z. B. Abgabe zerstörter Geräte, Fehlwürfe in Größenordnungen, unsachgemäße Lagerung) führen dazu, dass das Monitoring nicht komplett sein kann und eine durchgehende Schadstoffentfrachtung nicht gewährleistet ist. Weitere Probleme gibt es im Bereich Behandlung, die auch die seit 01/2022 gültige Verordnung nicht beseitigt und deren Unzulänglichkeiten der Referent aufzeigte. Er warnte vor den Folgen, die letztendlich zu einer Schwächung des Recyclingstandortes Deutschland führen würden. Schließlich wirkt sich die ständige Senkung der Grenzwerte gemäß EU-POP negativ auf das Recycling der Kunststoffe aus dem Ek-Schrott aus. Chancen werden in der Erhöhung der Herstellerverantwortung, im Design für Recycling, der Reparierbarkeit und in der Erhöhung der Einsatzquoten für Sekundärrohstoffe gesehen. Um das Sammel- und Behandlungssystem weiterzuentwickeln und Potenziale aufzudecken, sind verlässliche Rahmenbedingungen und ein gemeinsames Recyclingstreben erforderlich. 

Genau in diese Richtung läuft ein Projekt, das Frau M. Sc. Jasmin Hoff, TU Clausthal in ihrem Beitrag „Aktivierung der Zivilgesellschaft – Wissenschaftskommunikation im Bereich der Elekro(nik)-Altgerätesammlung“ vorstellte. An vielen Beispielen zeigte sie, wie unter dem Motto „Public Relation Work for Recycling“ in der Region Harz die Zivilgesellschaft durch Sammelaktionen in verschiedenen Einrichtungen und durch Befragungen, auch unter Einbeziehung großer Märkte für das Recycling motiviert werden kann. Für 2022 ist eine Drive-Throug-Sammelaktion geplant.

ReUse, ReFit und Repair von Elektro(nik)-Artikeln

Diese Thematik gewinnt bekanntlich im Zuge der Nachhaltigkeit und der Circular Economy immer mehr an Bedeutung, so auch auf der Berliner Konferenz. „Konsumentensicht auf Reparaturdienstleistung: welche Perspektiven ergeben sich für mehr Nachhaltigkeit?“ erörterte Frau Ursula Weber, Ritec Trade& Consulting GmbH & Co. KG., Lüneburg. Am Beispiel von Notebooks zeigte sie, welch dringender Handlungsbedarf besteht, um die Gebrauchsdauer zu erhöhen und Reparaturdienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Staatliche Anreize für letztere sind wünschenswert wie z. B. in Schweden (Senkung der Mehrwertsteuer für Reparaturleistungen, keine Verlängerung von Abschreibungen, Beförderung der Fachkräfteausbildung). Den Gebrauchtmarkt für elektronische Geräte untersuchte Benjamin Butz, Teqcyle Solutions GmbH, München am Beispiel Notebooks und die ReUse-Strategie der SRH als zweite Chance für Elektroaltgeräte beleuchtete M. Sc. Yanik Moldt, Hamburg Institute for Innovation, Climate Protection and Circular Economy GmbH, Hamburg.

Nachhaltigkeit von Elektro(nik)-Artikeln

In dieser Sektion ging es sowohl um Reparieren als auch um Recycling, insbesondere hochwertiges Metallrecycling von gebrauchten Elektronik-Geräten. An einem schönen Praxisbeispiel zeigte Dr.-Ing. Andreas Wenda, Robert Bosch GmbH, Hildesheim wie Nachhaltigkeit durch Reparatur gelingen kann. 100 Smartphones (Apple und Samsung) waren die Untersuchungsobjekte für das Recyclingprojekt zur Schnittstellenoptimierung zwischen Aufbereitung und Metallurgie, über das Frau M. Sc. Merle Hüsgen und Frau Dzeneta Vrucak, beide RWTH Aachen berichteten. Als Gründe für die unzureichende Realisierung der Kreislaufwirtschaft nannten sie die Komplexität der Produkte, die unbefriedigenden Rahmenbedingungen (heterogener dynamischer Abfallstrom, fehlende Transparenz zu Zusammensetzung und Werthaltigkeit, Auffinden geeigneter Recyclingprozesse) und weitere verbesserungswürdige Schnittstellen im Kreislauf (bessere Bedingungen für Sammlung und Motivation zur Abgabe, fehlendes Design for Recycling und unzureichender politischer/rechtlicher Rahmen für verstärkte Kreislaufführung). 

Zu den rechtlichen, technischen und wirtschaftlichen Barrieren auf dem Weg zu mehr Wiederaufarbeitung gebrauchter ITK-Geräte (kleine Geräte der Informations- und Telekommunikationstechnik) sprach RA Hans-Jochen Lückefett, Min. Rat. a. D., Gast-Prof. Shanghai Polytechnic University. Er nannte drei Barrieren: 1. preistreibende gesetzliche Neuregelungen, 2. fehlendes Vertrauen von Kunden als Grundlage ihrer Nachfrage und 3. das Angebot ungeeigneter Geräte. Um diese Barrieren zu beseitigen, zumindest aber abzubauen, leitete der Referent die Idee ab, dass die mit der Wiederaufarbeitung befassten Unternehmen einen Verband als Interessenvertreter mit konkreten Zielsetzungen gründen sollten.

Einen umfassenden und mit klaren Forderungen an Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft gerichteten Vortrag zum Thema „Hochwertiges Metallrecycling für eine Circular Economy (CE) von Elektronikprodukten“ hielt Dr. Christian Hagelüken, Umicore AG & Co. KG., Hanau. Sein Fazit lautet u. a. „CE ist mehr als Recycling – auch Optimierung von Nutzung und Lebensdauer (inkl. Reparatur); echte CE erfordert fundamentale Veränderungen bei Entwicklung, Design, Vertrieb, Nutzung und Recycling von Produkten mit hoher Rohstoff-Relevanz“.

 

Sektion Kunststoffrecycling

Mit 11 Vorträgen war auch der Themenkomplex Kunststoffrecycling entsprechend seinem Stellenwert in diesem Jahr angemessen besetzt. Ein breit gefächertes Programm von der Digitalisierung in modernen Sortieranlagen (Andreas Jäger, Steinert GmbH, Köln) Kreislaufwirtschaft in der Modebranche („Mode neu denken“, GF Frau Robina von Stein, R.E. S.M. RE-NT UG, Berlin – Umwandlung der rein linearen Modeindustrie in eine Kreislaufwirtschaft) bis hin zur Betrachtung der Potenziale von Sortiertechnologie und Modellierung (Frau Univ. Prof. Dr. Kathrin Greiff, ANTS RWTH Aachen) leitete diese Sektion ein.

 

Mechanisches Kunststoffrecycling

Moderiert von Prof. Dr.-Mont. Roland Plomberger, Montanuniversität Leoben/A referierte beispielsweise Dipl.-Ing. Clas Ötting, Relux Kunststofftechnik GmbH & Co. KG., Magdeburg über hochwertige werkstoffliche Verwertung von Mischkunststoffen aus Verpackungen in technischen Produkten. Vorgestellt wurde ein Verfahren, bei dem aus 70 % Postconsumer-Mischkunststoff (Ballenware aus Sortieranlagen) und 30 % Produktionsabfällen über verschiedene trockene Aufbereitungsstufen (Shreddern, Sortieren) sowie anschließendes Mischen, Compoundieren und Pressen, gegebenenfalls unter Zusatz von Additiven Bahnschwellen hergestellt werden. Sie sind in individuellen Formaten je nach Kundenwunsch und Einsatzgebiet lieferbar. Die Vorteile der Schwellen sind vor allem der relativ geringe Energiebedarf, wasserfreier Prozess, nach der  Verwendung erneuter Einsatz als Input, Ersatz von Holz, das mit Kresol behandelt ist (Verwendungsverbot). Betriebstauglichkeitsuntersuchungen an der TU München, verliefen positiv. Abschließend wurden zahlreiche technische Anwendungen mit Schwellen des zum Unternehmen gehörenden Schwellenherstellers pioonier GmbH, Bad Oynhausen (Leipzig, Frankfurt a. Main, Bochum, Hannover, Stockholm) dieses geschlossenen Kreislaufs vorgestellt. Sensorbasiertes Sortieren stand in den beiden Vorträgen von M. Sc. Jannick Schmidt, Hochschule Pforzheim (Ergebnisse des Forschungsprojektes MaReK) und von Frau Sabine Schlögl, Montanuniversität Leoben/Aim Fokus.

 

Chemisches Kunststoffrecycling

In seinem sehr informativen Übersichtsvortrag „Überblick zu thermochemischen Konversionstechnologien für das chemische Recycling“ nahm Prof. Dr.-Ing. Martin Gräbner, TU Bergakademie Freiberg zunächst eine kurze Einführung in das chemische Recycling vor und stellte fest: „Es gibt keine klare Definition für das chemische Recycling.“ Es existieren aber verschiedene Technologien und Recyclingpfade, die durch die unterschiedlichen Abfallfraktionen bedingt sind. Im Fokus seiner weiteren Ausführungen standen Pyrolyse und Vergasung. Bei ersterer existiert eine große Anzahl an Technologien, überwiegend Drehrohr-, Schnecken- und Rührkessel-Reaktoren mit einer durchschnittlichen Reaktorkapazität von 12 t/d; der angestrebte Durchsatz beträgt etwa 60 t/d. Bei der Vergasung besteht generell eine höhere Einsatzstoff-Flexibilität, aber eine geringere Anzahl an Technologien. Vorherrschend sind Wirbelschicht- und Festbett(+Plasma)-Reaktoren. Die durchschnittliche Reaktorkapazität beträgt 67 t/d; angestrebt werden 350 t/d. Mit zahlreichen technischen Anwendungsbeispielen veranschaulichte Prof. Gräbner die Technologien der beiden Verfahrensvarianten. 

Sehr interessant war auch der Beitrag von Dr. Thomas Probst, bvse e. V., Bonn „Das chemische Kunststoffrecycling – Konkurrenz oder Ergänzung zur werkstofflichen Verwertung?“. Er sieht in den Grenzen des mechanischen Recyclings die Chancen für das chemische Recycling. Von Umweltschützern wird dieses u. a. wegen des hohen Energieverbrauchs negativ besetzt. Der Referent gelangt jedoch zu dem Schluss, dass die werkstoffliche Kunststoffverwertung in Zukunft größtenteils überflüssig wird und damit Recyclingkunststoffe vom Markt verschwinden.  

Im Bereich Shredderleichtfraktion (SLF) kann chemisches Recycling ebenso einen Teil der Lösung darstellen, wie Dr.-Ing. Georg Daun, BASF SE, Ludwigshafen in seinem Beitrag ausführte. Die Auswertung von 18 Studien zur Thematik zeigte die große Streuung der verschiedenen Anteile, wobei die Hauptkomponenten Gummi und Kunststoffe darstellen. BASF arbeitet derzeit mit verschiedenen Partnern an zwei ASR-Projekten (Automative Shredder Residue) um zu entscheiden, welcher der möglichen Wege – mechanische und/ oder chemisches Recycling der Kunststoffe aus Altfahrzeugen zum Erfolg führen. Es steht schon – auch unter ökonomischen Aspekten – die Frage im Raum, ob die SLF, die nicht mechanisch recyclbar sind, der Pyrolyse zugeführt werden sollten, um aus dem entstehenden Pyrolyseöl neue Kunststoffe zu synthetisieren.  

Der Vortrag „Vollständiges Recycling faserverstärkter Epoxidharzsysteme mit Borhalogeniden“ von Prof. Dr. Dieter E. Kaufmann, TU Clausthal und Manfred Müller-Gransee, Environment Intelligence GmbH, Bad Grund war ein hervorragendes Beispiel für Kreislaufwirtschaft. Es wurde ein Verfahren vorgestellt, mit dem es unter Verwendung von Borchlorid gelingt, die Fasern und Monomere in Neuwarenqualität zurück zu gewinnen. Damit findet kein Downcycling der Produkte CFK und GFK statt.

 

Résumée

Obgleich die Teilnehmerzahl in diesem Jahr etwas geringer ausfiel als in den vergangenen (coronafreien) Jahren, konnten die Veranstalter auf eine positive Bilanz zurückschauen. Circular Economy im weiteren Sinne gewinnt immer mehr an Bedeutung und es gibt viele Bemühungen, den Fortschritt auf diesem steinigen Wege mit praxisrelevanten, technischen Anwendungen von Forschungsergebnissen zu belegen. Sowohl im Bereich Elektro(nik)schrott als auch Kunststoffe wird verstärkt Nachhaltigkeit – Design for Recycling, Wiederverwendung, Reparatur, Entwicklung von Leasingmodellen – angestrebt. Ebenso ist hochwertiges Recycling gefragt, denn es gilt, marktfähige Produkte und Rohstoffe zu gewinnen. Allerdings ist hochwertiges Recycling teuer und der Markt nimmt darauf keine Rücksicht. Recycling wird insofern nicht ohne Beachtung der Rohstoffverfügbarkeit und -preise sein, Circular Economy darf kein Selbstzweck sein, wie viele Referenten immer wieder betonten. Erfreulich ist, dass man sich auf vielen Ebenen (Forschung, Entwicklung, Anwendung, Industrie) bemüht, Nachhaltigkeit zu praktizieren. Dennoch – der immer wieder mahnende erhobene Zeigefinger allein reicht nicht! Es müssen auf breiter Ebene Taten folgen – und das umgehend. Vorschläge für realisierbare Projekte liegen vor. Die Entscheidungsgremien in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind zum Handeln aufgerufen. Insofern erneut ein großes Dankeschön an den Veranstalter, die TK-Verlag GmbH dafür, der Kreislaufwirtschaft/Circular Economy eine so breite Plattform zu geben. Dazu war die Veranstaltung erwartungsgemäß wieder bestens organisiert.

Die nächste Konferenz ist für den 27. und 28. März 2023 geplant.

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