Forschungsprojekt seRo.inTech

Praxisnahe Erprobung der Aufbereitung von Sperrmüll, Baumischabfällen und Alttextilien in Thüringen

Die Forschungsgruppe seRo.inTech hat sich zum Ziel gesetzt, innovative Technologien zur Gewinnung von Sekundärrohstoffen aus Sperrmüll, Bau­mischabfällen und Textilien zu erforschen. Im Thüringer Verbund aus dem Institut für Angewandte Bauforschung Weimar gGmbH, der Bauhaus-Universität Weimar und der Hochschule Nordhausen werden Strategien zur effizienten Sammlung, Aufbereitung und Wiederverwertung dieser Stoffströme erforscht. Ziel ist die Gewinnung hochwertiger Sekundärrohstoffe sowie die Identifikation von Dekarbonisierungspotenzialen, um die Kreislaufwirtschaft nachhaltig
zu stärken.

1 Einleitung

Die steigende Nachfrage nach Rohstoffen und der damit verbundene Ressourcenverbrauch stellen eine der größten Herausforderungen der modernen Industriegesellschaft dar. Um diesen Entwicklungen entgegen zu wirken, setzt der Europäische Green Deal auf eine Transformation zu einer klimaneutralen Kreislaufwirtschaft, in der Abfallstoffe als wertvolle Sekundärrohstoffe genutzt werden sollen. Besonders in den Bereichen Bauwirtschaft, Textilwirtschaft und den privaten Haushalten liegt Potenzial für die Rückgewinnung und Wiederverwertung von Materialien.

Ein Element des Green Deals ist der Circular Economy Action Plan, der darauf abzielt, Stoffkreisläufe zu schließen und ressourcenintensive Wirtschaftsbereiche nachhaltiger zu gestalten. Ein wichtiger Bestandteil der deutschen Umwelt- und Ressourcenpolitik ist das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG), das die EU-Richtlinien zur Abfallvermeidung, Wiederverwertung und Ressourceneffizienz national umsetzt. Zentral ist die Novelle des KrWG von 2020, welche die Sammlung von Abfällen, die Recyclingquote und die Förderung von Sekundärrohstoffen stärkt.

 

2 Methode

Das Thüringer Innovationszentrum für Wertstoffe (ThIWert) bietet mit seiner technischen Ausstattung eine exzellente Plattform für anwendungsorientierte Forschung. Für das Projekt ist es von zentraler Bedeutung, die Abfallströme Sperrmüll, Baumischabfall und Post-Consumer-Textilien nicht nur im Labor- oder Pilotmaßstab, sondern auch unter großtechnischen Bedingungen zu analysieren.

Das methodische Vorgehen orientiert sich an einem systemischen Kreislaufwirtschaftsansatz, der die gesamte Wertschöpfungskette einschließt. Ziel ist die umfassende Charakterisierung der genannten Abfallströme, um deren stoffliche Verwertungspotenziale sowie Beiträge zur Dekarbonisierung systematisch zu erfassen und zu optimieren. Die Methodik gliedert sich in vier aufeinander abgestimmte Arbeitsschritte:

 

2.1 Erfassung und Mobilisierung

Im ersten Schritt wird eine quantitative und qualitative Analyse der Abfallfraktionen unter Berücksichtigung bestehender Erfassungs- und Sammelstrukturen durchgeführt. Ziel ist es, Potenziale zur verbesserten Mobilisierung der Stoffströme festzustellen. Hierzu werden Daten zu Transport und Menge ausgewertet sowie regionale Erhebungen und Interviews mit relevanten Akteuren (Entsorgungsunternehmen, Kommunen, etc.) durchgeführt.

2.2 Aufbereitung und Verwertung

In der zweiten Phase werden Technologien zur Aufbereitung und stofflichen Verwertung untersucht. Die technische Eignung und Effizienz der verschiedenen Verfahren wird hierbei im Kontext der jeweiligen Stoffgruppe bewertet. Ziel ist die Identifikation hochwertiger Sekundärrohstoffe und die Optimierung bestehender Prozessketten.

 

2.3 Regulatorische, ökonomische und ökologische Bewertung

Zentrale rechtliche Rahmenbedingungen, insbesondere das Kreislaufwirtschaftsgesetz, die EU-Abfallrahmenrichtlinie sowie spezifische Produkt- und Stoffverordnungen, werden systematisch analysiert. Ergänzend werden ökonomische Bewertungen und ökobilanzielle Analysen zur Quantifizierung von Umweltwirkungen und Nachhaltigkeitspotenzialen vorgenommen.

 

2.4 Systemintegration und Handlungsempfehlungen

Die Ergebnisse werden integrativ zusammengeführt, um praxisorientierte Handlungsempfehlungen für Politik, Wirtschaft und Kommunen abzuleiten. Ziel ist die Stärkung der Kreislaufführung und eine signifikante Reduktion von CO₂-Emissionen.

 

3 Abfallaufkommen Thüringen

Im Jahr 2023 wurden den 20 öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern (örE) in Thüringen rund 75 000 t Sperrmüll überlassen. Dies entspricht einem Pro-Kopf-Aufkommen von etwa 35 kg und liegt damit rund 20 % über dem Bundesdurchschnitt.

Die Menge an den örE in Thüringen überlassenen Bauschutt betrug im selben Jahr 108 000 t. Zum Vergleich: Das bundesweite Aufkommen an Bauschutt belief sich im Vergleichsjahr auf insgesamt 55,2 Mio. t.

Die Sammlung von Post-Consumer-Textilien (PCT) wird in Thüringen aktuell durch 98 gewerbliche und gemeinnützige Akteure realisiert. Seit 2024 ist ein starker Rückgang zu verzeichnen, der vor allem auf sinkende Marktpreise für Altkleider zurückzuführen ist. Bisher sehen Anzeigeverfahren nach §18 KrWG keine Meldepflicht gesammelter Mengen vor. Die örE in Thüringen sammelten 2018 bis 2024 nur ca. 6 % selbst. In Zukunft wird die Eigenerbringung der Getrenntsammlung steigen und Holsysteme rücken verstärkt in den Fokus.

 

4 Herausforderungen für den Einsatz von Sekundärrohstoffen

Die Substitution von Primärrohstoffen durch aufbereitete Wertstoffe ist eine zentrale Voraussetzung für geschlossene Materialkreisläufe. Für eine wirtschaftliche Nutzung sind die Materialqualität sowie die Bereitstellung ausreichender Mengen an sortenreinen Fraktionen entscheidend.

Die stoffliche Verwertung von Sperrmüll ist bislang aufgrund der heterogenen Zusammensetzung, der unzureichenden Getrenntsammlung sowie begrenzter technischer Aufbereitungsmöglichkeiten eingeschränkt. Angesichts des EU-Ziels, die kommunale Recyclingquote bis 2025 auf 55 % zu erhöhen, sind zunehmend innovative Verfahren zur Rückgewinnung von Wertstoffen erforderlich.

Die wachsende Materialvielfalt und der Einsatz komplexer Verbundstoffe erschweren den selektiven Rückbau und die sortenreine Trennung von Baumischabfällen vor Ort. Dies belastet sowohl die Baustellenlogistik als auch die Aufbereitung in stationären Anlagen, die derzeit vorwiegend mechanische Verfahren nutzen. Zukünftig sind sensorbasierte Sortierverfahren und automatisierte Trenntechnologien erforderlich, um die Qualität der Sekundärrohstoffe zu steigern.

Fehlende Einsatzquoten hemmen den Ausbau des Faserrecyclings im Textilbereich. Global werden weniger als 1 % der Alttextilien im Faser-zu-Faser-Recycling verarbeitet. Herausforderungen sind die heterogenen Farbtöne und Materialmischungen von PCT. Technologische Fortschritte im Bereich von Materialdatenbanken, Nahinfrarotsensorik und Farbkameras verbessern die Sortenreinheit. Weitere Automatisierungen sind insbesondere für die Störstoffentfernung, die Zerfaserung und die chemische Analytik erforderlich.

 

5 Verwertungsmöglichkeiten und Aufbereitungserfordernisse der Stoffströme

Im Mittelpunkt des Forschungsprojekts stehen die Entwicklung und Erprobung von technisch angepassten Aufbereitungsprozessen, um die in den jeweiligen Stoffströmen enthaltenen Wertstoffe effizient aufzuschließen, störstofffrei zu separieren und in den für die nachgelagerte Verwertung bzw. Analytik erforderlichen Qualitäten bereitzustellen.

Im Jahr 2023 lag die stoffliche Verwertungsquote des in Thüringen erfassten Sperrmülls bei lediglich 16 %, während 64 % thermisch verwertet und 20 % durch übrige Beseitigungsverfahren behandelt. Metalle stellen die wertvollste Fraktion im Sperrmüll dar und werden in der Regel hochwertig recycelt. Holz, als mengenmäßig bedeutendster Bestandteil, wird hingegen überwiegend unsortiert thermisch behandelt.

Gemäß der Altholzverordnung ist bei separater Erfassung eine stoffliche oder energetische Verwertung von Sperrmüllholz abhängig vom Schadstoffgehalt möglich. Mischsortimente aus Sperrmüll werden in der Regel der Altholzklasse III zugeordnet, was eine stoffliche Verwertung erheblich einschränkt. Eine mögliche Nutzung stellt die Herstellung von Indus­trieholzkohle durch Pyrolyse dar. Während die thermische Verwertung primär der Energiegewinnung dient, ermöglicht die Pyrolyse eine stoffliche Nutzung mit zusätzlichem CO₂-Bindungspotenzial.

Für Baumischabfälle ist die Trennung leichter Materialien (z. B. mit Dämmstoffen gefüllte Ziegel), die formschlüssig, jedoch ohne festen Materialverbund vorliegen, durch Windsichter oder nassmechanische Sortierverfahren geeignet. Liegen hingegen Materialverbunde vor, wie etwa geklebte Wärmedämmschichten oder Putzaufträge auf Mauersteinen, ist eine mechanische Trennung vor der Sortierung notwendig.

Untersuchungen an verputzten Musterwänden, die sowohl mit einem Prallbrecher als auch mit einem Backenbrecher zerkleinert wurden, zeigen folgende Ergebnisse:

Die Zerkleinerung mit dem Prallbrecher führt zu einem höheren Aufschlussgrad und einem feineren Brechprodukt.

Der Backenbrecher erzeugt weniger Feinkorn und ermöglicht dadurch eine effizientere Rückgewinnung sortenreiner Baustoffpartikel.

 

Weiterhin wurde die Abtrennung von Gipsputz und Mörtel vom Wandbaustoff Ziegel untersucht. Für Baustoffe mit hohem Gipsanteil ist eine stoffliche Verwertung nicht möglich und eine Deponierung wird erschwert. Durch den Einsatz neuartiger Nahinfrarot-Sortiertechnologien ist eine sortenreine Trennung der Fraktionen technisch umsetzbar.

Bei Textilien hängt die Aufbereitung der nach Material und Farbe sortierten Fraktionen vordergründig vom Recyclingverfahren ab. Neben Aufbereitungserfordernissen, wie die Entfernung von Nicht-Textilien (Kurzwaren und Labels), ist die Entfernung von Veredelungen, Ausrüstungen und Funktionalisierung entscheidend. Eine Übersicht über den technologischen Reifegrad der Recyclingverfahren geben Huygens et al.

 

6 Ausblick

Zukünftig liegt der Schwerpunkt der geplanten Aufbereitungsversuche auf der Erprobung einer modular aufgebauten Sortieranlage, mit der unter anderem die Behandlung der Abfallströme Sperrmüll und Baumischabfall im industriellen Maßstab durchgeführt werden kann. Der modulare Aufbau der Anlage ermöglicht eine flexible Anpassung der eingesetzten Sortiermodule für unterschiedliche Stoffströme und variierende Sortieraufgaben.

Die zerkleinerten Alttextilien sollen im Nachgang einem Recyclingverfahren zugeführt werden. Ergänzt werden die Untersuchungen durch Laboranalysen, mit denen die Toleranzgrenzen der Verfahren getestet und die Qualitätsstufen der erzeugten Sekundärfasern charakterisiert und bewertet werden können.

 

7 Fazit

Die Erhaltung von Wertstoffen und die damit verbundene Schonung primärer Ressourcen sind von zentraler Bedeutung für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft. Die im Rahmen der Untersuchungen gewonnenen Erkenntnisse sind nicht nur für eine Anwendung im Freistaat Thüringen relevant: Sie lassen sich aufgrund der bundeseinheitlichen Regelungen zur kommunalen Entsorgung von Sperrmüll, Bauschutt und Textilien auch auf andere Regionen Deutschlands übertragen.

Die Forschungsgruppe seRo.inTech ist ein vom Land Thüringen gefördertes und vom Europäischen Sozialfond Plus (ESF+) kofinanziertes Forschungsvorhaben.

Literature • Literatur

[1] European Commission, Circular Economy Action Plan, Online https://www.eu2020.de/resource/blob/2429166/156d2d98b66b2ff28b6990161eed91e9/12-17-kreislaufwirtschaftsaktionsplan-bericht-de-data.pdf

[2] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, Eckpunkte der Novellierung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG), Online https://www.bmuv.de/themen/kreislaufwirtschaft/abfallpolitik/uebersicht-kreislaufwirtschaftsgesetz/eckpunkte-der-novellierung-des-kreislaufwirtschaftsgesetzes-krwg

[3] Freistaat Thüringen, Landesamt für Umwelt, Bergbau und Naturschutz, Online https://tlubn.thueringen.de/fileadmin/000_TLUBN/Umweltschutz/Abfall/Landesabfallwirtschaftsplanung/Abfallbilanz_2023.pdf

[4] Kreislaufwirtschaft Bau, Mineralische Bauabfälle – Monitoring 2024, Online https://www.kreislaufwirtschaft-bau.de/#Initiative

[5] EUWID-Marktberichte für Alttextilien, Online https://www.euwid-recycling.de/maerkte/alttextilien-deutschland/

[6] Textile Exchange (Hg.) (2022): Preferred Fiber & Materials Market Report, October 2022. Online verfügbar unter https://textileexchange.org/app/uploads/2023/11/Materials-Market-Report-2023.pdf

[7] Freistaat Thüringen, Landesamt für Umwelt, Bergbau und Naturschutz, Online https://tlubn.thueringen.de/fileadmin/000_TLUBN/Umweltschutz/Abfall/Landesabfallwirtschaftsplanung/Abfallbilanz_2023.pdf

[8] Huygens, D.; Foschi, J.; Caro, D.; Patinha, C. C.; Faraca, G.; Foster, G.; Solis, M.; Marschinski, R.; Napolano, L.; Fruergaard, A. T.; Tonini, D. (2023): Techno-scientific assessment of the management options for used and waste textiles in the European Union, 2023. Online verfügbar unter https://publications.jrc.ec.europa.eu/repository/handle/JRC134586

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