Meeresabfall

„Fishing for Litter” – Sortieranalyse und werkstoffliche Prüfung von Kunststoffabfällen aus dem Meer

Jedes Jahr gelangen mehr Abfälle in die Meere und haben verheerende Auswirkungen auf die marine Flora und Fauna. Gemeinsam mit Fischern an der Nord- und Ostsee hat der NABU – Naturschutzbund Deutschland e.V. im Jahr 2011 das Projekt „Fishing for Litter“ gestartet. Dabei bergen Fischer während der gewöhnlichen Fischerei Abfälle aus dem Meer und entsorgen diese an Land. Doch was passiert dann mit dem Meeresabfall? Darauf aufbauend werden an der Hochschule Magdeburg-Stendal die Kunststoffabfälle untersucht. Mit geeigneten Aufbereitungsprozessen soll der Weg für eine nachhaltige Verwertung vorbereitet werden.  

1 Kunststoffabfälle in den Meeren
Lange blieben die Auswirkungen der Meeresverschmutzung insbesondere durch Kunststoffabfälle unbemerkt oder wurden unterschätzt. Erst seit einigen Jahren werden die Folgen der jahrzehntelangen Unachtsamkeit unübersehbar. Dabei sind die Mengen an Abfällen, welche sich in den Meeren verbergen, bisher unbekannt. Wissenschaftler schätzen aber den jährlichen Eintrag alleine über Land auf 5 bis 13 Mio. Tonnen [1]. Nicht nur an ferngelegenen Stränden, auch an der Ost- und Nordsee werden so immer häufiger Abfälle an den Küsten angespült. Im Wattenmeer sind auf 100 m Küste durchschnittlich 236 Abfallteile anzufinden [2]. Bei seinem Umweltmonitoring an der deutschen Ostseeküste konnte der NABU auf der Insel Fehmarn durchschnittlich 71 und auf der Insel Rügen bis zu 140 Abfallteile auf einem Strandabschnitt von 100 m nachweisen. Dabei befinden sich nur ca. 15 % der Meeresabfälle an den Küsten. Weitere 15 % treiben auf der Wasseroberfläche und ca. 70 % der Abfälle sammeln sich am Meeresboden an. So befinden sich nach Schätzungen ca. 600 000 m³ Abfall am Grund der Nordsee – eine Menge, die den Kölner Dom anderthalb Mal füllen könnte [3]. Dabei wird ein Problem deutlich, welches im endlosen Blau über Jahrzehnte verborgen schien: Plastik vergeht nicht. Es akkumuliert in den Meeren und zersetzt sich über Jahrzehnte hinweg in immer kleinere Partikel. Dabei können viele Abfälle die Lebensspanne von uns Menschen überdauern – Plastiktüten zersetzen sich in etwa 25 Jahren, Plastikflaschen in 450 Jahren und Fischernetze in bis zu 600 Jahren.


2 Fishing for Litter
Das Problem der Meeresverschmutzung kann nur durch präventives Handeln über die Vermeidung des Eintrags behoben werden. Selbst wenn der Eintrag von Abfällen in die Meere sofort beendet werden würde, bleibt die bisherige Menge über Generationen erhalten. Daher können umweltverträgliche Sammlungen einen Beitrag zur Verminderung des Meeresabfallaufkommens leisten. Mit Blick auf die Abfallhierarchie des Kreislaufwirtschaftsgesetztes sollte dabei eine werkstoffliche Verwertung der gesammelten Meeresabfälle angestrebt werden. Inspiriert von Initiativen in den Niederlanden und Großbritannien startete der NABU 2011 zusammen mit einer ersten lokalen Fischereigenossenschaft und weiteren Partnern das Projekt „Fishing for Litter“. Der als Beifang anfallende Meeresabfall wird an Bord der Kutter in sogenannten Big Bags gesammelt und kann in Containern des NABU im Hafen für die Fischer gebührenfrei entsorgt werden (Bild 2). Aktuell helfen etwa 150 Fischer aus 15 deutschen Häfen die Abfälle aus dem Meer zu entfernen. Dabei beruht die Initiative auf Freiwilligkeit, die Fischer werden für ihren Einsatz nicht finanziell entlohnt. Den Fischereibetrieben ist eine saubere und vor allem gesunde Nord- und Ostsee ein genauso großes Anliegen wie den Umweltverbänden und den Anrainerstaaten insgesamt. Mit der finanziellen Unterstützung der Küstenländer Niedersachsen und Schleswig-Holstein über den Europäischen Meeres- und Fischereifonds (EMFF) soll der flächendeckende Ausbau des Systems realisiert werden. So konnten bis Ende 2016 über 20 t Abfall von Fischern aus Greetsiel in Ostfriesland bis Sassnitz auf Rügen aus dem Meer geborgen werden [4]. Damit agiert das Projekt Fishing for Litter im Sinne der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie, welche 2008 von der europäischen Union verabschiedet wurde. Darin verschreiben sich die Mitgliedsstaaten, auf einen guten ökologischen Zustand der europäischen Meere bis zum Jahr 2020 hin zu arbeiten [5]. Nach der Anlandung durch die Fischer im Hafen werden die Abfälle für die stoffliche Verwertung einer aufwändigen händischen Sortierung vom NABU unterzogen. Die damit gewonnenen Erkenntnisse sind für die Planung zukünftiger Abfallvermeidungsmaßnahmen dienlich. Mehr als 75 % der „gefischten“ Abfälle stellten Produkte aus Kunststoff dar. Es dominieren Folien, Verpackungen, Netzreste sowie Tauwerk (Bild 3). Neben dem Kunststoff ABS wurden durch die Hochschule Magdeburg-Stendal primär die Massenkunststoffe PP, PE und PVC untersucht. Ein zusätzlicher Fokus lag zudem auf den Massen bezogenen dominierenden Fraktion Netzreste aus Polyethylen. Im Anschluss an die Sortierung erfolgte eine vertiefte technische Laboranalyse.


3 Untersuchungen
Das Ziel der Untersuchungen war, die gesammelten Kunststoffabfälle aus dem Meer aufzuarbeiten und auf deren materialtechnischen Eigenschaften zu untersuchen. Die daraus resultierenden Ergebnisse sollten einen Aufschluss über die Recyclingfähigkeit des Materials und dessen Verwertungsoptionen geben. Dafür wurden die Proben einer genauen materiellen Werkstoffprüfung unterzogen, bei der das Verhalten unter thermischer und physikalischer Beanspruchung ermittelt wurde. Für die Kunststoffverarbeitende Industrie stellen das Schmelzverhalten sowie die Schlagzähigkeit und Zugfestigkeit wichtige Parameter dar. Um einen Abbau bzw. eine Degradation des Materials, bedingt durch den Verbleib im Meer nachweisen zu können, wurden die Ergebnisse der Proben mit denen von Neuware und Regranulaten aus Abfällen vom Land verglichen. Neben der Kenntnis über die Werkstoffeigenschaften ist der Grad der Verschmutzung des Probenmaterials für die Aufbereitung und spätere Verwertung essentiell. Aufgrund von Verunreinigungen, Schmutzanhaftungen und Durchmischungen unterschiedlichster Materialarten wurde im Zuge der Probenvorbereitung nach passenden und sachgemäßen Aufbereitungsschritten für eine bestmögliche Reinheit gesucht. Dabei mussten die für marine Abfälle typischen Umstände wie schluffartige Sande und mineralische Anhaftungen kompensiert werden. Wie können die einzelnen Fraktionen optimal zerkleinert werden und welche technischen Herausforderungen gilt es zu überwinden? Die Probenaufbereitung bildet die Basis für weiterführende Projekte und Forschungsarbeiten, bei denen Meeresabfälle untersucht werden.


4 Material
Zur Realisierung der Werkstoffprüfung wurden sowohl das Probe- als auch Referenzmaterial für Taue und Fischernetze vom NABU gestellt. Bei den untersuchten Proben handelte es sich um Netz- und Taumaterial, sowie Folien und weitere Abfälle aus PE, PP, ABS und PVC aus der Nord- und Ostsee. Die gewählten Kategorien der Probematerialien repräsentieren mit ca. 77 % den Großteil der „gefischten“ Kunststoffe [6]. Im Speziellen handelte es sich bei der Unterprobe um ca. 2 t gemischtes Material aus der Nord- und Ostsee, dass in den Jahren 2012 und 2013 gesammelt wurde. Die gesamten Abfälle stammen vom Meeresgrund und wurden mit Grundschleppnetzen an Bord geholt. Dabei konnte es vorkommen, dass Abfälle aus der Wassersäule und der Wasseroberfläche in das Netz gelangten. Bei den Proben handelt es sich im speziellen um: Scheuersteerte
Scheuersteerte sind bestimmte Netztypen, die in der Grundschleppnetzfischerei verwendet werden. Mit ihnen werden unter anderem Kabeljau oder Plattfische gefangen. Dazu werden die Netze hinter den Fangschiffen über den Meeresboden gezogen. Aufgrund der Anwendung und vorherrschenden Kräfte zeichnet sich der Netztyp durch seine Größe und Stabilität aus. Mit einem Strangdurchmesser von über 5 mm, einer Maschenweite von ca. 40 mm sowie doppelt verknoteten Steerts handelte es sich bei der 60 kg schweren Probe vermutlich um einen Scheuersteert aus der Seezungenfischerei (Bild 4a). Dolly Ropes
Bei den Dolly Ropes bzw. im deutschen Scheuernetzfransen handelt es sich um dünne Kunststofffasern mit einem Durchmesser von ca. 1 mm. Die einzelnen Fasern sind ineinander verdreht und bilden als Geflecht einen festen und beständigen Strang. Verknüpft mit dem unteren Ende der Scheuersteerte, fungieren die Dolly Ropes als Scheuerschutz und sichern die hochwertigeren Hauptnetze so vor dem Abrieb am Meeresboden. Diese Art der Scheuernetzfransen wird vorrangig bei Schleppnetzen der Krabben- und Plattfischfischerei verwendet (Bild 4b). Verschiedene Netzreste
In dieser Kategorie werden unterschiedliche und häufig auftretende Netztypen zusammengefasst. Bei den „gefischten“ Proben handelt es sich um abgetrennte Netzfragmente, welche als sehr beständige Kunststoffgeflechte aus verschiedenen geschleppten Fischereien vorlagen. Je nach Funktion im Fanggeschirr variieren die Maschenweiten von 10-50 mm und die Materialstärke lag zwischen 2 und 6 mm (Bild 4c).
Tauwerk
Neben den Netzen können auch Taue aller Art während des Fischfangs verloren gehen. Eine weitere bedeutende Eintragsquelle stellt hier die gewerbliche sowie die Freizeitschifffahrt dar. Verbunden mit Bojen oder Ankern wurden so Tauwerke in unterschiedlichsten Varianten und Materialzusammensetzungen geborgen. Bei den beprobten Material handelt es sich in der Regel um ein sogenanntes „Kern-Mantel-Geflecht“, bei dem der lasttragende Kern von einem Fasermantel umhüllt und geschützt wird (Bild 4d). Weitere Kunststoffabfälle
In der Kategorie wurden Kunststoffabfälle aller Art zusammengefasst. Dabei reicht die Abfallpalette von kurz- und langlebigen Kunststoffprodukten des alltäglichen Gebrauchs bis hin zu Elektrogehäusen und Außenlampen [7]. Zur sortenreinen Bestimmung wurden die Kunststoffabfälle nach PE-Folien, PEBehältern, PP, ABS und PVC unterschieden und beprobt (Bild 4e).


5 Probenvorbereitung
Trotz der Vorsortierung wies das Probematerial in der Hochschule Magdeburg-Stendal eine große Inhomogenität auf. Diese wurde durch die verwickelten und verknoteten Netzreste und Taue unterschiedlicher Materialtypen und -stärken bedingt. Aufgrund dieser verflochtenen Heterogenität mussten die Proben aufwändig händisch nachsortiert werden. Während der Separation und Vorzerkleinerung mittels Scheren und Guillotinen-Schere wurde der Grad der Verunreinigung ersichtlich. Da die feinen Sande und Kiese in den Netz- und Taugeflechten eine sehr abrasive Wirkung auf die folgenden Zerkleinerungsaggregate ausübten, erwies sich eine vorgeschaltete Waschung als unverzichtbar. Mit gravimetrischen Untersuchungen vor und nach dem Waschvorgang konnte der Verschmutzungsgrad der Proben analysiert werden. Dabei konnten unterschiedliche Verschmutzungsgrade, abhängig von der Verweilzeit unter Wasser und der Beschaffenheit des jeweiligen Materials, nachgewiesen werden. Weitere Schwankungen wurden durch das Ablagerungsmilieu der Proben bedingt. Abfälle auf dem Meeresboden wiesen größere Verschmutzungen auf, als Materialien aus der Wassersäule. Mit Schwankungsbreiten von 1,2-18,5 % wurde bei den Dolly Ropes und Scheuersteerten der höchste Verschmutzungsgrad des Netz- und Taumaterials nachgewiesen. Der hohe Anteil an Anhaftungen wurde durch die einzelnen, zu einem Geflecht verwobenen Fäden bedingt, welches eine große Fläche für Ablagerungen bietet. Ähnliche Probleme bereiteten das Tauwerk und die Netzreste, bei denen eine Reinigung der innenliegenden Fäden erst nach intensiver Vorzerkleinerung realisiert werden konnte. Mit Verschmutzungsgraden von 0,4-7,6 % wiesen diese Fraktionen eine größere Reinheit auf (Bild 5). Die geringsten und zugleich größten Verunreinigungen enthielten jedoch die Fraktionen der weiteren Kunststoffabfälle. Während bei den körperförmigen Kunststoffabfällen Verunreinigungen, bedingt durch Seepocken und Algenbewuchs, von ca. 1 % ermittelt wurden, erwiesen die PE-Folien einen durchschnittlichen Verschmutzungsgrad von ca. 59 % auf. Nachdem die Proben von ihren Anhaftungen befreit wurden, konnte das Material weiter zerkleinert werden. Dazu wurden die Proben mittels Rotorschere vorzerkleinert und anschließend erfolgt die Aufgabe in eine Schneidemühle zur Nachzerkleinerung. Dabei erwies sich die sehr beständige und fadenförmige Struktur des Materials als problematisch. Zum einen wickelten sich die Fäden um die Wellen und verursachen einen Stillstand der Maschine. Zum anderen glitten die einzelnen Fasern über die Schnittkante und verminderten die Zerkleinerungswirkung. Um dem entgegenzuwirken, wurden die Proben aufgeschmolzen und eine kristalline Struktur geschaffen, welche eine zielführende Zerkleinerung gewährleistete. Während bei den Dolly Ropes und weiteren Kunststabfällen so eine Korngröße von 5-10 mm realisiert wurde, faserten die Tauwerke und Scheuersteerte aus und verstopften die Siebe. Diesem Umstand geschuldet wurde bei diesem Material die Vorzerkleinerung mehrfach durchgeführt.


6 Thermische und werkstoffliche Prüfung Mikroskopische
Untersuchungen
Bei der Betrachtung der Proben mittels Digitalmikroskop wurde der qualitative Unterschied zwischen Probe- und neuem Referenzmaterial ersichtlich. Mit einer 5000-fachen Vergrößerung konnte bei allen Fraktionen eine unverkennbare Degradation der Oberflächen nachgewiesen werden. Diese wurde durch das Zusammenspiel der Einwirkungen durch den Salzgehalt im Wasser, der UV-Strahlung der Sonne und dem Abrieb durch Wellengang und am Meeresboden hervorgerufen. Besonders deutlich wird der Qualitätsverlust bei den Netzresten. Hier erwies sich die Oberfläche als sehr aufgeraut und zum Teil gerissen (Bild 6). Aber auch bei den restlichen Proben wurde die spröde Faserstruktur bzw. die poröse und rissige Oberfläche offenkundig (Bild 7). Fourier-Transform-Infrarotspektrometer (FTIR/ATR)
Bei der FTIR/ATR Untersuchung wurde das Probenmaterial mit Licht des infraroten Spektralbereiches bestrahlt und die materialspezifischen Transmissionen, Reflexion und ATR Reflexion gemessen. Mit dem Abgleich einer Datenbank konnten die Kunststoffarten der Proben nachgewiesen werden. Während die Dolly Ropes und Netzreste auf Polyethylen (PE) basieren, handelte es sich bei Tauwerk und Scheuersteert um Polyamid (PA). Dynamische Differenzkalometrie (DSC)
Zusätzlich zu den FTIR/ATR Untersuchungen diente die DSC-Analyse für die Kontrolle der Materialart und dessen thermisches Verhalten [8]. Durch das Erhitzen der Probe konnten die Schmelz- und Glasübergangstemperaturen ermittelt werden. Diese Parameter sind für die industrielle Verarbeitung essentiell und wurden für weitere Analysen des Schmelzflussindexes und der Herstellung von Probekörpern benötigt. Beim Vergleich mit den Referenzmaterialien wurden keine bzw. nur geringe Abweichungen festgestellt, so dass von keiner strukturellen Veränderung des Probenmaterials ausgegangen wird (Bild 8). Veränderungen des thermischen Verhaltens aufgrund der Verweilzeit im Meer können somit als gering eingestuft werden. Schlagzähigkeit
Bei Schlagzähigkeitsuntersuchungen nach Charpy wird ein Probekörper mittels Pendelhammer schlagartig beansprucht. Dabei wird die aufgewendete Schlagkraft gemessen und die Sprödigkeit bzw. Zähigkeit des Materials abgeleitet [9]. Die hohen Schmelztemperaturen des auf Polyamid basierenden Tauwerks und der Scheuersteerte schlossen die Prüfkörperherstellung dieser Proben sowie deren Schlagzähigkeitsmessungen zum damaligen Zeitpunkt aus aus. Die anderen Proben unterstrichen jedoch die Ergebnisse der Mikroskopie. Bei den Dolly Ropes wurde ein deutlicher Qualitätsverlust nachgewiesen. Während das Referenzmaterial mit 166 kJ/m² belastet werden konnte, zerbrach die Probe aus „gefischtem“ Material bereits bei 45 kJ/ m². Das Brechen des Probekörpers wurde durch Einschlüsse innerhalb der Probe bedingt und verdeutlicht die wichtige Rolle der Aufbereitung und Reinigung des Materials. Selbst geringe Einschlüsse wie z.B. durch feine Sande, die sich an der großen Oberfläche der einzelnen Stränge ansammeln, verursachen Schwachstellen innerhalb des Materials. Bei den weiteren Kunststoffabfällen konnte ebenfalls ein Abbau der Schlagzähigkeit beobachtet werden. Im Vergleich zu Regranulaten und Mahlgütern aus Abfällen vom Land wird ersichtlich, dass es sich bei den Proben aus dem Meer um eine abfalltypische Qualitätsverminderung handelt. Dem gegenüber stehen die Netzreste. Durch die äußere Ummantelung und enge Vermaschung der Fäden konnte die Qualität des Materials erhalten werden und bewirkte vergleichbare Schlagzähigkeiten von Probe und Referenzmaterial (Bild 9). Schmelzflussindex
Bei der Untersuchung des Schmelzflussindexes wird die Fließfähigkeit bzw. die Viskosität der Kunststoffschmelze ermittelt. Der Schmelzflussindex bzw. im englischen Melt Mass-Flow Rate (MFR) ist für die kunststoffverarbeitende Industrie ein wichtiger Parameter und wird mit der Einheit Gramm je zehn Minuten angegeben [10]. Der MFR der Dolly Ropes war um 0,28 g/10 min höher als bei der Neuware und deutet auf einen Kettenabbau der Polymere und damit auf einen Qualitätsverlust hin. Der Unterschied bei den Netzresten fällt marginaler aus und unterstreicht die Ergebnisse der Schlagzähigkeitsuntersuchungen (Bild 10). Bei den weiteren Kunststoffabfällen wurden zwei Trends ersichtlich. Beim ABS und PP wird ein deutlicher Anstieg des Schmelzflussindexes nachgewiesen und bestätigt den Qualitätsverlust. Beim PE und PVC hingegen ist der MFR kleiner als bei der Neuware. Diese Tatsache wird der Anwesenheit von Additiven geschuldet sein, welche dem Rohgranulat für die bessere Verarbeitung zugesetzt wurden.


7 Ende der Abfalleigenschaft
Ein vorrangiges Ziel der Initiative „Fishing for Litter“ ist die mögliche werkstoffliche Verwertung „gefischter“ Kunststoffabfälle. Nach der materialtechnischen Untersuchung der Meeresabfälle wurde aus der Fraktion Dolly Ropes ein PE-Regranulat gewonnen. Damit konnte neben der energetischen Verwertung die Möglichkeit des Recyclings bestimmter Fraktionen nachgewiesen werden. Die Abfalleigenschaft der marinen Kunststoffabfälle würde beendet und eine Einsatzmöglichkeit entlang der Wertschöfpungskette ermöglicht. Zusätzlich konnten mit der Herstellung von Brillengestellen und Brieföffnern qualitative Produktbeispiele aus Meeresabfällen generiert werden (Bild 11).


8 Fazit und Ausblick
Das Projekt „Fishing for Litter“ reiht sich in die Liste der verschiedenen Ansätze und Initiativen zur Entfernung der Abfälle aus den Weltmeeren ein. Wichtig ist dabei, dass der Materialstrom ein Nebenprodukt der operativen Fischerei auf freiwilliger Basis darstellt. Ein besonderer und zusätzlicher Fokus wurde bei dem Projekt auf die nachhaltige Nutzung der Stoffströme gelegt und soll den Grundstein für ein hochwertiges Recycling der „gefischten“ Kunststoffabfälle bilden. Mit der Herstellung von Brillengestellen und Brieföffnern konnten bereits erste Produkte aus Regranulaten der Meeres-Kunststoffabfälle gefertigt werden. Der Stoffkreislauf wurde geschlossen. Ein qualitatives und reines Regranulat konnte bisher nur mit einem hohen Anteil an händischer Arbeit realisiert werden. Für ein effizientes und wirtschaftliches Recycling der Kunststoffe aus den Netz- und Taufraktionen muss daher weiter nach mechanischen sowie automatischen Lösungen der Materialaufbereitung geforscht werden. Dazu sind weitere Optimierungsarbeiten für eine bestmögliche Zerkleinerung angedacht. Ein weiterer quantitäts- und qualitätsmindernder Faktor stellt die Verweilzeit im Wasser dar. Durch diverse Zersetzungsprozesse entstehen die sogenannten Mikrokunststoffe. Darunter fallen Partikelgrößen <5 mm. Mit den bisherigen Ansätzen des „Fishing for Litter“ Projektes können diese nicht erfasst werden. Gleichzeitig ist bekannt, dass der Großteil der in die Meere eingetragenen Kunststoffe als Mikroplastik vorliegt. Aufbauend auf die vorliegenden Ergebnisse wollen der NABU und die Hochschule Magdeburg- Stendal ihre Zusammenarbeit ausbauen und weitere Ansätze zur Erfassung und Identifizierung der Mikro- und Makroabfälle verfolgen. Dabei sollen folgende Fragestellungen aufgegriffen werden:   ➤Welche Stoffströme und erschließbaren Potenziale sind vorhanden?   ➤Wie verhalten sich Kunststoffabfälle über einen bestimmten Zeitraum in Salzwasser?   ➤Wie kann die Aufbereitung effizienter und ökonomischer gestaltet werden?   ➤Welche Produkte lassen sich zukünftig aus „gefischtem“ Tauwerk und Netzen herstellen?
Dies sind nur einige Fragen, welche im Rahmen dieser, in Deutschland bisher einmaligen Zusammenarbeit geklärt werden sollen. Für die Unterstützung bei der Probenanalytik möchten wir uns beim Kompetenzzentrum Ingenieurwissenschaften/ nachwachsende Rohstoffe an der Hochschule Magdeburg- Stendal bedanken. Ein weiterer Dank gilt den Fischereibetrieben, die auf freiwilliger Basis die Sammlung der Meeresabfälle realisieren. Die Problematik der Mikro- und Makroabfälle in den Meeren gewinnt weltweit an Bedeutung. Bei Gesprächen auf der IFAT in München und der Wassersportmesse boot in Düsseldorf wurde auch die Popularität dieser Thematik sowohl bei Fachleuten als auch der gesamten Bevölkerung ersichtlich. Jetzt gilt es, das Momentum der gesellschaftspolitischen Diskussion zu nutzen und die Interessengruppen aus der Abfallwirtschaft, der wissenschaftlichen Forschung, den Fachbehörden und dem Meeresschutz zusammenzubringen. Nur durch ein gemeinsames Wirken kann eine langfristige und effiziente werkstoffliche Verwertung der Abfallströme realisiert werden.


9 Zusammenfassung
Die Aufarbeitung der Kunststoffabfälle im Rahmen des Projektes „Fishing for Litter“ erwies sich als komplexe Aufgabe. Dabei bedingten die materialspezifischen Eigenschaften der Netz- und Taufraktionen hohe Anforderungen an die Sortierung, Reinigung und Zerkleinerung. Diese Aufgaben konnten bisher nur mit einem hohen Anteil händischer Arbeit realisiert werden. Um die werkstoffliche Verwertung effizienter und wirtschaftlicher zu gestalten, werden weitere Optimierungsmöglichkeiten der Zerkleinerung untersucht. Verunreinigungen stellen derzeit eines der größten Probleme dar und bilden den qualitätslimitierenden Faktor für die Weiterverwertung. Regranulate und Produkte aus der Fraktion Dolly Ropes belegen aber die qualitative Umsetzbarkeit des Recyclingprozesses. Weitere Kunststoffprüfungen zeigten, dass mit steigender Verweilzeit im Salzwasser die Qualität der Proben sank. Mit dem Ausbau der Kooperation sollen zukünftig Langzeitversuche zur Ermittlung des materialtechnischen Verhaltens in einem marinen Milieu untersucht werden.

Literatur/Literature
[1] K. Remiorz (2017): Bild Fischernetze; Hochschule
Magdeburg-Stendal
[2] Jambeck, Jenna R./Geyer, Roland/Wilcox, Chris et
al. (2015): Plastic Waste Inputs from Land into the
Ocean. In: Science 347/ 2015, S. 768-771
[3] Umweltbundesamt: „Herkunft mariner Abfälle“
(2013): unter: www.umweltbundesamt.de/sites/
default/files/medien/419/dokument/herkunft_mariner_
abfaelle.pdf (abgerufen am 12.07.2016)
[4] NABU e.V.: „Fishing for Litter – Gemeinam für eine
saubere Nord- und Ostsee“ unter: www.fishing-forlitter.
de (abgerufen am 12.06.2017)
[5] BLMP: „Die MSLR – eine Chance für die europäischen
Meere“ unter http://www.meeresschutz.info
(abgerufen am 12.06.2017)
[6] Hahn M. (2016) Sortierung und werkstoffliche
Prüfung von Netz- und Tauresten aus dem
Projekt Fishing for Litter. Masterarbeit Hochschule
Magdeburg-Stendal
[7] Tietze R. (2014) Untersuchung der Qualität von
Kunststoffabfällen aus dem Meer und deren
Verwertungsmöglichkeiten. Masterarbeit Hochschule
Magdeburg-Stendal
[8] Deutsches Institut für Normung e.V. DIN EN ISO
11357-1. Kunststoffe – Dynamische Differenz-
Thermoanalyse (DSC) – Teil 1: Allgemeine Grundlage
[9] Deutsches Institut für Normung e.V. DIN EN
ISO 179. Kunststoffe – Bestimmung der Charpy-
Schlageigenschaften – Teil 1: Nicht instrumentierte
Schlagzähigkeitsprüfung
[10] Deutsches Institut für Normung e.V. DIN EN ISO
1133. Kunststoffe – Bestimmung der Schmelze-
Massefließrate (MFR) und der Schmelze-
Volumenfließrate (MVR) von Thermoplasten – Teil 1:
Allgemeines Prüfverfahren

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