Bewertung von Kunststoffen in der Kreislaufwirtschaft

Aktuelle Arbeitsschwerpunkte des VDI Richtlinienausschusses 4095

Im Jahr 2020 wurde der Richtlinienausschuss VDI 4095 „Bewertung von Kunststoffen in der Kreislaufwirtschaft“ gegründet, um praxistaugliche und rechtskonforme Handlungsempfehlungen für die betroffenen Kreise zu entwickeln. Übergeordnetes Ziel des Richtlinienausschusses ist es, den Einsatz von Kunststoffrecyclaten massiv zu stärken.

Dem VDI-Richtlinienausschuss 4095 gehören Fachleute der gesamten Produktions- und Recyclingkette sowie Expert*innen u.a. aus Wissenschaft und Verwaltung an. Die Vorsitzende des Richtlinienausschusses ist Frau Dr. Bettina Enderle. Gegenwärtig wird der Ausschuss kommissarisch von ihrem Stellvertreter Dr. Ralf Brüning geführt.

Zielkonflikt beim Kunststoffrecycling

Die weltweite Produktion von Kunststoffen erreichte im Jahr 2018 circa 360 Mio. t. Davon wurden fast 62 Mio. t in Europa produziert [1]. In Bezug auf Kunststoffabfälle fielen 2018 europaweit offiziell etwa 29 Mio. t an [1]. Hinzu kommen Abfälle, die illegal in die Umwelt gelangen und nicht offiziell gesammelt und erfasst werden. Nur etwa 33 % der gesammelten Kunststoffabfälle werden einer stofflichen Verwertung zugeführt.

Die restlichen Mengen werden energetisch verwertet (circa 43 %) oder deponiert (circa 25 %) [1]. Insgesamt gibt es daher beim Recycling von Kunststoffabfällen noch großen Handlungsbedarf. Der Anteil der stofflichen Verwertung und die Einsatzmengen von Post-Consumer Recyclaten müssen dringend erhöht werden.

Einerseits ist es in Politik und Wirtschaft unstrittig, dass der Recyclat-Einsatz bei Kunststoffen erhöht werden sollte. Andererseits gilt der Grundsatz, dass umwelt- und gesundheitsschädliche Stoffe aus dem Wirtschaftskreislauf ausgeschleust werden müssen. Für verschiedene (Schad)stoffe (z.B. Flammschutzmittel), die in Altkunststoffen enthalten sein können, kann es ein Zerstörungsgebot beim Recycling geben. Darüber hinaus kann es gesetzliche Beschränkungen oder Verbote beim (Wieder)Inverkehrbringen bestimmter (Schad)stoffe – z.B. in einem Kunststoff-Recyclat – geben.

Arbeitsschwerpunkte des Richtlinienausschusses

Die Richtlinie VDI 4095 soll dazu beitragen, diesen Zielkonflikt beim Einsatz von Kunststoffrecyclaten zu überwinden. Die erste Aufgabe des Richtlinienausschusses ist es daher, die aktuelle Situation entlang der Kunststoffproduktions-, -gebrauchs und -recyclingkette zu beschreiben und den Stand der Technik abzubilden. Zudem werden Methoden der ökologischen Bewertung von Kunststoffen in der Kreislaufwirtschaft gezielt angesprochen.

Konkret werden in der Richtlinie entscheidende Begriffe definiert bzw. bestehende Definitionen entscheidender Begriffe zusammengestellt. Ziel ist es, einen einheitlichen Sprachgebrauch im Markt für Recyclate zu befördern. Dabei gilt es die gesetzlichen Definitionen zu berücksichtigen.

In Deutschland wurden z.B. 2019 mehr als 12 000 t Kunststoffe verbraucht [2]. Dies beinhaltet sowohl Primärprodukte als auch Recyclate. Etwa 27 % dieser Kunststoffe wurden für Verpackungen verbraucht und ca. 24 % im Baubereich. Weitere Anwendungsfelder folgen mit einigem Abstand. In Bezug auf das Abfall­aufkommen ist die Dominanz des Anwendungsfelds Verpackungen noch deutlicher. Etwa 60 % der in Deutschland anfallenden Kunststoffabfälle stammen aus Verpackungen. Abfälle aus dem Anwendungsfeld Bau folgen an zweiter Stelle. Sie machen aber nur ca. 10 % der anfallenden Kunststoffabfälle aus [2].

In der Richtlinie 4095 werden die wichtigsten Anwendungsfelder für Kunststoffe sowie die Charakteristiken der dort eingesetzten Polymere beschrieben. Damit wird aufgezeigt welche Recyclingqualitäten für welche Polymerströme in welchen Mengen benötigt werden. So soll die Richtlinie dazu beitragen, die Recycling-, Produktions- und Gebrauchsphase besser aufeinander abzustimmen.

In der Richtlinie wird weiterhin betrachtet, mit welchen Recyclingtechniken die benötigten Qualitäten erreicht werden können. Überblicksartig werden verschiedene Verfahren des mechanischen/werkstofflichen, physikalischen, chemischen und enzymatischen/biologischen Recyclings (von v.a. Biokunststoffen) sowie weitere rohstoffliche Verwertungsverfahren betrachtet. Dabei werden die wichtigsten Vor- und Nachteile der Verfahren sowie ihre Eignung für verschiedene Polymerarten gegenübergestellt und bewertet.

Ein weiterer Schwerpunkt der Richtlinie liegt auf der Untersuchung und Beschreibung der Schnittstelle zwischen Kunststoffprodukten und Kunststoffabfällen. Die rechtlichen Voraussetzungen für das Erreichen des Endes der Abfalleigenschaft und das Erreichen des Produktstatus werden zusammengestellt. Darauf aufbauend werden entsprechende Handlungsempfehlungen ausgearbeitet.

Fazit und Ausblick

In der VDI Richtlinie 4095 werden aktuell die zuvor beschriebenen Schwerpunkte bearbeitet. Zukünftig ist geplant, dass in weiteren Blättern auf einzelne technische Aspekte und Verfahren vertieft eingegangen werden soll. Dem Richtlinienausschuss stehen daher noch herausfordernde Arbeiten bevor.

Aktuell besteht noch die Möglichkeit, an der Richtlinie 4095 aktiv mitzuarbeiten und sie zu gestalten. Interessierte können sich direkt an den kommissarischen Vorsitzenden Dr. Ralf Brüning wenden.

www.dr-bruening.de

Literatur:

[1] PlasticsEurope Deutschland e. V. (2019), Plastics – the Facts 2019, An analysis of European plastics production, demand and waste data. Special show of K 2019; https://plasticseurope.org/wp-content/uploads/2021/10/2019-Plastics-the-facts.pdf [abgerufen am 27.01.2022].

[2] Conversio – Market & Strategy (2020), Stoffstrombild Kunststoffe in Deutschland 2019; https://www.vci.de/ergaenzende-downloads/kurzfassung-stoffstrombild-kunststoffe-2019.pdf [abgerufen am 27.01.2022].

Autoren:

Dr. Ralf Brüning, Julia Wolf, Florian Piehl

Dr. Brüning Engineering UG, Brake/Germany

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